Zukunftsvision
- © Text: Maria von Pawelsz-Wolf, 27.Oktober 2000
- © Bild: Charlotte Knuth
Seitdem ich die sehr alte und früher an der Handelsstrasse liegende, bedeutende Stadt
Kamenez-Podolski / Ukraine kennen gelernt habe und immer wieder zu Besuchen und
Kontrollen, ob unsere Spenden in unserem Sinne (u.a. als Hilfe zur Selbsthilfe)
verwendet wurden, dort gewesen bin, habe ich die Vision, diese trotz aller Zerstörungen
noch immer wunderschöne Stadt wieder zu dem zu machen, was sie einmal war.
Zu dieser Vision gehören aber ganz praktische Aktivitäten wie der Bau von Hotels,
die Neubelebung der früher vorhandenen Industrie und die Ermutigung der
Menschen, die viel Leid erfahren haben. Der Bürgermeister Mazurtschak,
der mich mit dem auf einstimmigen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung
mit dem erst zum dritten Mal verliehenen städtischen Orden für die
langjährige Hilfsarbeit ausgezeichnet hat, hat in seinem letzten Gespräch
mit uns deutlich gemacht, dass er dringend Investoren sucht, denen er gute Bedingungen,
wie 100%igen Erwerb von Eigentum bzw., wenn denkmalgeschützte Häuser
wieder aufgebaut werden, 10jährige Mietfreiheit garantiert, und jede Hilfe
in der Verwaltung anbietet. Mit dem Denkmalschützer habe ich auch schon
gesprochen: er wird einem Innenausbau der geschützten Häuser keine
Schwierigkeiten machen. In der Stadt gibt es viele gute Arbeitskräfte,
die früher in der Industrie die Kleinstteile für die Raketen hergestellt
haben. Die deutsche Firma Prettl/Pfullingen hat bereits mit amerikanischer finanzieller
Unterstützung ein Kabelwerk aufgebaut, in dem Kabelbäume für
VW und Bosch hergestellt werden. Es gab eine Firma, die medizinische Geräte
wie Herzkatheter herstellte. Dort könnte man sicher wieder ein entsprechendes
Werk aufbauen. So gibt es eine ganze Menge an Möglichkeiten, die mit deutschem
Know-how wieder aktiviert werden könnten.
Neben diesen grösseren Unternehmen bemühe ich mich, Kleinbetriebe zu installieren.
Ich versuche, abgeschriebene Maschinen in Deutschland zu finden, die dann dorthin
gebracht werden, um Menschen, die früher im Schatten gestanden haben, eine
Lebensgrundlage zu geben. Mein Problem ist leider immer wieder, die Gelder für
die Transporte zu finden. Dazu muss ich immer von neuem auf Betteltouren gehen. Für
die bedürftigen Menschen unterstützen wir den in Kamenez-Podolski
gegründeten Freundschaftsverein Kamjanez-Podilskij-Wiesbaden. Wir arbeiten
mit den Vereinsmitgliedern zusammen, die uns durch Listen mit Unterschriften
der Empfänger garantieren, dass unsere Spenden wirklich zu den Armen kommen.
Mit unserer Hilfe wird in der Altstadt eine Kaffeestube aufgebaut, in der das
Essen für die Armen gekocht wird. Wir möchten gern, dass die Kaffeestube
immer geöffnet ist, damit sie zu einem Begegnungsort auch für Touristen
wird. Dazu muss aber die Frage der Heizung und der Stromversorgung zufriedenstellend
gelöst werden. Ausserdem muss eine hauptamtliche Person dort die Woche
über arbeiten.
Mir schwebt ausserdem vor, eine Beratungsstelle für Frauen aufzumachen, die sich gern
selbständig machen möchten. Dazu werden auch Kreditmöglichkeiten
gesucht, denn die offiziellen Kredite sind unerschwinglich. So hat uns eine
bereits in einem Kleinbetrieb arbeitende Schneiderin um 6.000,-DM Kredit gebeten,
damit sie eine richtige Werkstatt einrichten kann. In unserem Vereinsbudget
sind dafür keine Gelder vorgesehen, aber es scheint mir wichtig, über
einen Weg nachzudenken.
Die Ausbildung der jungen Frauen, die bereits ein Jahr Au-Pair-Zeit in Deutschland hinter sich
haben und dann die Chance bekommen, in Wiesbaden die zweijährige Berufsfachschule
mit dem Examen als "staatlich geprüfte Betriebswirtschaftsassistenten"
zu besuchen, würde ich gern insofern auf solidere Füsse stellen, als
eine Stiftung für die Finanzierung ihres Lebensunterhaltes in diesen zwei
Jahren gegründet wird. Sie können sich dann ganz der Schule und dem
Erlernen von Englisch widmen. Mit dieser Grundlage und ihrem in der Heimat bereits
abgeschlossenen Germanistikstudium haben sie gute Chancen, eine Anstellung in
der Ukraine – wenn möglich auch bei deutschen Firmen - zu finden. Mit diesen
gut ausgebildeten und engagierten Menschen kann der Aufbau in der Ukraine sinnvoll
unterstützt werden.
Durch die langjährige Beschäftigung mit dem Aufbau von Kamenez-Podolski kommen
immer wieder neue Gedanken, wie geholfen werden kann. Leider fehlt mir nur das
genügende Geld, um alles durchzuführen. Ich benötige sehr viel
Zeit, um irgendwelche Finanzierungsquellen zu erschliessen. Manchmal bin ich
vom ewigen Betteln so müde, dass ich alles fallen lassen möchte....
Aber irgendwie hilft der liebe Gott: ich treffe immer wieder Menschen, die in
meinem Engagement eine Möglichkeit sehen, auch in der Provinz etwas zu
tun und den Menschen dort eine Zukunft zu geben. Mit aller Unterstützung
möchte ich gern erreichen, dass von der positiven Entwicklung von Kamenez-Podolski
ein Zeichen ausgeht, dass es lohnt, sich anzustrengen und die eigene Heimat
aufzubauen. "Mut machen durch Unterstützung" - ist die Devise!